Auch am vierten Tag gab es wieder zwei Verhandlungsrunden. Am Morgen wurde neben den Artikeln zur justiziellen Zusammenarbeit der Staaten (Artikel 10) und internationalen Kooperation bei der Umsetzung des Abkommens (Artikel 11) der Artikel zur Vereinbarkeit des UN-Abkommens mit anderen völkerrechtlichen Verträgen diskutiert (Artikel 12). Insbesondere das letzte Thema birgt einiges an Sprengkraft, da es in diesem Artikel unter anderem um das Verhältnis von Handels- und Investitionsabkommen mit einem zukünftigen UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten geht. In den sogenannten „Elements“ von 2017 war noch klar formuliert worden, dass menschenrechtliche Verpflichtungen, die sich aus einem zukünftigen UN-Abkommen ergeben, Vorrang vor Handels- und Investitionsabkommen haben sollten. Der Vertragsentwurf aus diesem Jahr („Revised Draft“) hingegen ist nicht ganz eindeutig darin, ob bestehende und zukünftige völkerrechtliche Verträge wie zum Beispiel Handelsabkommen dem UN-Abkommen rechtlich widersprechen dürfen.
October 17, 2019 | BUND
Bericht des 4. Tages der Verhandlungen über ein UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte
Investorenrechte vor Menschenrechten? Vereinbarkeit des Abkommens mit dem Völkerrecht, ein Durchsetzungsmechanismus und der Blick nach Wien
von Lia Polotzek, Leitung Wirtschaft, Finanzen und Handel bei BUND
Auch am vierten Tag gab es wieder zwei Verhandlungsrunden. Am Morgen wurde neben den Artikeln zur justiziellen Zusammenarbeit der Staaten (Artikel 10) und internationalen Kooperation bei der Umsetzung des Abkommens (Artikel 11) der Artikel zur Vereinbarkeit des UN-Abkommens mit anderen völkerrechtlichen Verträgen diskutiert (Artikel 12). Insbesondere das letzte Thema birgt einiges an Sprengkraft, da es in diesem Artikel unter anderem um das Verhältnis von Handels- und Investitionsabkommen mit einem zukünftigen UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten geht. In den sogenannten „Elements“ von 2017 war noch klar formuliert worden, dass menschenrechtliche Verpflichtungen, die sich aus einem zukünftigen UN-Abkommen ergeben, Vorrang vor Handels- und Investitionsabkommen haben sollten. Es klingt zwar unvorstellbar, dass wirtschaftliche Interessen mehr zählen sollen als die Menschenrechte; der sogenannte „Zero Draft“ aus dem Jahr 2018 war hier hingegen nicht mehr so klar wie die „Elements“. Er beschreibt, dass zukünftig geschlossene Abkommen mit dem UN-Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte vereinbar sein sollten. Beim vergangenen Entwurf hingegen gab es die Formulierung, dass alle aktuellen und zukünftigen Handels- und Investitionsabkommen so ausgelegt werden sollen, dass sie ein UN-Abkommen „so wenig wie möglich“ einschränken. Dies ist eine sehr beunruhigende Formulierung, bedeutet sie doch, dass es prinzipiell möglich sein soll die Menschenrechte zugunsten von Handels- und Investitionsinteressen einzuschränken. Der Vertragsentwurf aus diesem Jahr („Revised Draft“) hingegen ist nicht ganz eindeutig darin, ob bestehende und zukünftige völkerrechtliche Verträge wie zum Beispiel Handelsabkommen dem UN-Abkommen rechtlich widersprechen dürfen.
Als Experten für die Verhandlungsrunde am Morgen waren Surya Deva von der UN Working Group on Business and Human Rights, Lavagna Wijekoon von der Anwaltskanzlei Littler sowie Joe Zhang vom IISD geladen. Während Surya Deva klar machte, dass Menschenrechte einen Vorrang vor Wirtschaftsinteressen haben sollten, äußerte Lavagna Wijekoon erhebliche Zweifel an der Möglichkeit von extraterritorialer Jurisdiktion, also dem Umstand, dass Gerichte im Fall von Menschenrechtsverletzungen transnationaler Unternehmen über Sachverhalte entscheiden können und sollten, die sich nicht innerhalb ihres Territoriums ereignen. Joe Zhang hat insbesondere auf die Verhandlungen über einen multilateralen Investitionsschiedsgerichtshof in einer Arbeitsgruppe der Kommission für internationales Handelsrecht (UNCITRAL) hingewiesen, die genau zeitgleich zu den Treaty-Verhandlungen in Wien stattfinden und bei denen es darum geht, die Paralleljustiz für Unternehmen weiter auszubauen, was schon bei den großen Anti-TTIP-Demonstrationen für einige Empörung gesorgt hatte.
In der folgenden Debatte meldete sich von den europäischen Ländern nur die Schweiz zu Wort. Sie fragte, ob der Artikel zur Vereinbarkeit des Treaty mit anderen Verträgen überhaupt mit den UN-Leitprinzipien vereinbar sei, bzw. nicht über diese hinausgehe. Ansonsten waren es vor allem die lateinamerikanischen und afrikanischen Länder, die anschließend inhaltlich zu den Verhandlungen beigetragen haben. Im Schlussstatement argumentierte Surya Deva dafür, dass es auch bei Handels- und Investitionsabkommen einen Mechanismus geben sollte, damit Betroffene Zugang zu Recht erhalten. Er antwortete auf die Schweiz, dass es eine prinzipielle Vereinbarkeit zwischen diesem Artikel und den UN-Leitprinzipien gibt. Zu einigem Aufruhr kam es, nachdem sich ein Vertreter der Zivilgesellschaft aus Hong Kong zu Wort gemeldet hat, um über die Situation vor Ort zu berichten und China mit einem Wortbeitrag intervenierte.
An den von Joe Zhang erwähnten Verhandlungen über einen Multilateralen Investitionsschiedsgerichtshof zeigt sich, wie relevant das Verhältnis eines UN-Abkommens zur internationalen Handels- und Investitionsschutzpolitik ist. Denn bei den Verhandlungen in Wien geht es vor allem darum, Sonderrechte für transnationale Unternehmen weiter auszubauen. Wurde bei den UN-Verhandlungen in Genf recht schnell die Idee eines Gerichtshofs auf Eis gelegt, geht es in Wien genau darum: Ein internationaler Gerichtshof speziell für Investoren, damit diese ihre Rechte durchzusetzen können. Dass dies verbindlich geschehen soll offenbart die Doppelmoral der Europäischen Union. Während sie sich in Genf nicht inhaltlich an den Verhandlungen beteiligt, hat sie den Prozess in Wien sogar selbst angestoßen und würde gerne noch schneller verhandeln.
In der Mittagspause gab es zwei Side-Events mit lokalem Fokus. Zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Betroffene aus Südamerika und dem afrikanischen Kontinent berichteten über Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung durch transnationale Unternehmen in ihren Ländern und die spezifischen Debatten auf den jeweiligen Kontinenten.
Am Nachmittag wurde der Durchsetzungsmechanismus (Artikel 13) verhandelt. Wurde am Anfang von der Verhandlungsführung noch die Möglichkeit in Erwägung gezogen, einen internationalen Gerichtshof einzurichten, vor dem Betroffene Unternehmen verklagen können, buchstabiert der aktuelle Vertragsentwurf lediglich ein Expert*innenkommittee aus. Ein Fakultativprotokoll, das Individualbeschwerden und die Kompetenz, in konkreten Fällen zu ermitteln, vorgesehen hatte, gibt es im „Revised Draft“ im Vergleich zum „Zero Draft“ aus 2018 nicht mehr. Wie von anderen UN-Vertragsorganen bekannt, soll das Komitee des aktuellen Vertragsentwurfs die Aufgabe haben, die Vertragsbestimmungen auszulegen, regelmäßige Staatenberichte über die Umsetzung der Vertragspflichten entgegenzunehmen, zu kommentieren und normative Empfehlungen auszusprechen.
Als Expert*innen waren Carlos Correa, Exekutivdirektor des South Centre und Jelena Aparac, Mitglied der UN Working Group on Mercenaries geladen. Jelena Aparac schlug während der Panelrunde vor, regionale Expert*innen und Arbeitsgruppen einzurichten und ein Berichtswesen auch für Unternehmen einzuführen.
Es waren in der anschließenden Debatte wieder Länder wie Mexiko, Namibia, Ecuador und Südafrika, die wortführend waren. Brasilien und Russland versuchten etwas zu bremsen. Von den europäischen Ländern gab es zu diesem Punkt keine Wortbeiträge. Am Abend des vierten Verhandlungstages fand ein Treffen zwischen der Zivilgesellschaft und der ecuadorianischen Verhandlungsführung statt. Es bleibt weiterhin spannend, was das Schlussdokument am letzten Verhandlungstag enthalten wird und wie sich die Europäische Union diesbezüglich positionieren wird.